Einige Pressemitteilungen ließen Ende 2007 Eltern von Kindern mit Fragilem-X-Syndrom aufhorchen: Hier wurde berichtet, Forschern sei ein Durchbruch im Hinblick auf die Behandlung der Symptome des Fragilen-X-Syndroms gelungen. Man habe bei Mäusen mit Fragilem-X durch Reduktion des Glutamatspiegels im Gehirn die neurologischen Defizite ausschalten können. Dieses Zuviel an Glutamat in Zellen von Menschen mit FraX ist darin begründet, dass das Protein im FMR1-Gen, welches die glutamatgesteuerte Signalübertragung reguliert, und dessen Fehlen eine Überregung der Zellen bedingt, nicht oder nur vermindert gebildet wird. Nun handelte es sich beim Mausmodell um Tiere mit einer doppelten Mutation, die so beim Menschen nicht nachzubilden ist. Gleichwohl sahen Forscher nun die Hypothese bestätigt, dass in erster Linie ein zuviel an Glutamat, das die Nervenzellen schädigt und gebildete Synapsen instabil werden lässt, für zahlreiche Symptome des Fragilen-X-Syndroms verantwortlich ist.
Jene Pressemitteilungen nahmen Bezug auf einen Artikel der Zeitschrift Neuron, in dem die Ergebnisse dieser Studie an KO-Mäusen vorgestellt wurden. Sie lassen Forscher und Betroffene hoffen, man könne in Zukunft durch die Gabe von Glutamat-Antagonisten die gehirnphysiologischen Folgen der Genmutation auch bei Menschen positiv beeinflussen:
http://www.aerzteblatt-studieren.de/doc.asp?docid=107014
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/news/lernstoerung_aid_230381.html
http://rss.msnbc.msn.com/id/22328395/
Während Eltern Fragiler-X-Kinder die Forschungsergebnisse teils für vielversprechend, teils für ein Strohfeuer hielten, reagierte man in Fachkreisen mit vorsichtigem Optimismus. Auf Nachfrage hin erklärte man uns seitens einiger Humangenetiker, man müsse nun freilich zunächst die weiteren Studien abwarten, es gebe aber berechtigten Grund zur Hoffnung, dass man in der Behandlung des Fragilen-X-Syndroms einen entscheidenden Schritt weiter gekommen sei.
Der Forscher Mark Bear vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge ist laut Medieninformationen des Focus online (vgl. Link oben) der Auffassung, seine Forschungsergebnisse aus dem Jahre 2007 seien von großer Bedeutung für Menschen mit Fragilem-X-Syndrom und man habe "nun etwas in der Hand, um das Fragile-X zu reparieren". Für die betroffenen Kinder könnten sich nach Angaben des Deutschen Ärzteblattes "aus den Erkenntnissen in nicht allzu ferner Zukunft therapeutische Perspektiven ergeben". Bear hat bereits eine eigene Firma gegründet, die den mGluR-Antagonisten STX 107 in einer klinischen Studie untersuchen soll. In präklinischen Studien zeigte dieser Wirkstoff im Tiermodell eine hohe Wirksamkeit und wird von Forschern als vielversprechend auch für betroffene Menschen eingeschätzt.
Der folgende Link führt zu Seaside Therapeutics, dem Pharmaunternehmen von Mark Bear, das den Glutamat-Antagonisten STX 107 entwickelt hat. Natürlich sind alle hier angegebenen Informationen aus der Perspektive der Wissenschaftler zu sehen, die für ihre Firma und ihr Produkt sprechen. Unten auf der angegebenen Seite findet man einen weiteren Link zu dem Video "Fragile X - Hitting the Mark", in dem auch Mark Bear selbst zu Wort kommt.
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Der mGluR-Antagonist Fenobam wurde in den 1970er Jahren als Wirkstoff zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen, vornehmlich für Patienten mit Angststörungen, getestet. In Bezug auf das klinische Bild dieser Erkrankungen zeigte der Wirkstoff jedoch nicht die erhoffte Wirksamkeit, so dass keine Marktzulassung erfolgte. Aufgrund der oben dargestellten Forschungsergebnisse aus dem Jahre 2007 wird Fenobam nun im Hinblick auf Fragile-X-Patienten getestet. Da bereits die damaligen Studien zur Verträglichkeit des Medikamentes vorliegen, ist davon auszugehen, dass - im Falle einer Zulassung - die nomalerweise übliche Zeit von 10 bis 12 Jahren, die von der Entwicklung bis zur Markteinführung eines Medikamentes verstreicht, deutlich unterschritten werden könnte. Hier ein Zitat aus "The Fragile X Research Foundation", das Anlass zur Hoffnung gibt, sowohl im Hinblick auf die Verträglichkeit als auch auf die Wirksamkeit von Fenobam:
"...Fenobam was developed in the 1970s by scientists at McNeill Labs. It was studied in clinical trials in patients with anxiety disorders, demonstrating a good safety profile and some effectiveness, but precisely how it worked was unknown. Two decades later, researchers at Hoffmann LaRoche discovered that it is an mGluR5 antagonist, making it a promising candidate treatment for Fragile X. Says FRAXA co-founder Michael Tranfaglia, MD, "We are very hopeful that this drug could get normal brain development back on track in people with Fragile X -and possibly autism as well."
Im März 2008 meldete der Newsletter "FRAXA UPDATE", die im Dezember 2007 angekündigte erste Testphase mit Fenobam sei "erfolgreich" gewesen; die zweite Testphase an Menschen mit Fragilem-X-Syndrom würde nun beginnen. Die von Robert Mansfield (Neuropharm's CEO) als "Meilenstein" bezeichnete Studie wurde von Professor Randi Hagerman vom UC Davis MIND Institute (http://www.ucdmc.ucdavis.edu/mindinstitute/) und Professor Elizabeth Berry-Kravis vom Rush University Medical Center (http://www.rush.edu/) durchgeführt. Im Juli 2008 berichtete fraxa.org über das Ergebnis der nunmehr beendeten Phase IIa dieser Studie: Bereits nach der einmaligen Gabe habe man bei 2 der 6 weiblichen und bei 4 der 6 männlichen Probanden dieser Stdie die gewünschte positive Wirkung festgestellt - bei guter Veträglichkeit. Die Ergebnisse dieser Studie sowie einen Link zu acht weiteren Studien mit Medikamenten gegen FraX findet man unter http://www.fraxa.org/nr-fenobam.aspx.
In einer Studie mit FX-Mäusen konnten Forscher zeigen, dass bei jungen Mäusen mit dieser Genmutation durch die frühzeitige Gabe von Minocyclinen eine deutliche Verbesserung der Symptomatik erreicht wurde.
http://www.sciencedaily.com/releases/2008/10/081003122659.htm
http://www.physorg.com/news142249702.html
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Entwicklung des Gehirns bei FX-Mäusen durch eine zu große Menge eines bestimmten Enzyms (MMP-9) verzögert wird. Hohe Spiegel des Enzyms sollen Dendriten (Nervenzellfortsätze) und Synapsen (Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen) in einem unreifen und ineffizienten Zustand halten. Minocycline reduzieren den MMP-Spiegel bei den Mäusen und ermöglichen so eine Nachreifung der Dendriten und Synapsen. Auf diese Weise "normalisieren" sich Lernprozesse, so dass insbesondere ängstliches Verhalten vermindert und abstraktes Denken sowie Gedächtnisleistungen verbessert werden können. Der vollständige Artikel zur Studie erschien im Oktober 2008 in der Zeitschrift "Journal of Medical Genetics" unter dem Titel: "Minocycline promotes dendritic spine maturation and improves behavioral performance in the Fragile X Mouse Model". Er steht in unserem FORUM als Download für den privaten Gebrauch zur Verfügung. Eine zusammenfassende Bewertung des Artikels findet man unter dem fogenden Link: http://drmikespsychiatryblog.blogspot.com/2008/12/merry-christmas-and-happy-new-year.html
Minocyclin ist ein Antibiotikum, das schon seit einigen Jahrzehnten in der Akne-Therapie bei Jugendlichen eingesetzt wird. Es ist ein ab dem 9. Lebensjahr zugelassenes Medikament, dessen mögliche Nebenwirkungen erforscht und bekannt sind:
In verschiedenen Veröffentlichungen im Internet finden sich vermehrt Hinweise auf Anwendungen an FXS-Kindern unterschiedlichen Alters und Geschlechtes insbesondere im US-amerikanischen Raum. Von positiven Wirkungen nach einer mehrwöchigen Einnahme wird dabei berichtet: http://www.basicallyfx.com/life-with-fragile-x/to-minocycline-or-not/
Ein aktueller Artikel der "Los Angeles Times" (Apri 2011) schildert im ersten Teil, wie positiv ein vierzehnjähriger Junge mit FraX auf Minocyclin reagiert hat und wie sehr sich unter der Medikamentengabe sein Verhalten und seine Lernfähigfähigkeit verbessert haben.
Seit der Junge an einer Studie mit Minocyclin teilgenommen und das Medikament 8 Monate lang genommen habe, habe sich "sein Leben in einer Weise verändert", die seine Mutter vorher "nie für möglich gehalten" habe. Er könne nun dem Unterricht folgen, sein Verhalten kontrollieren, strukturiert Geschehnisse wiedergeben, seine Gedanken äußern und Mitgefühl zeigen.
Im zweiten Teil wird die Gabe von Medikamenten bei so genannter "geistiger Behinderung" kritisch hinterfragt, da es gerade auch Eltern behinderter Kinder gebe, die eine solche Behandlung ablehnen, um der Sichtweise Vorschub zu leisten, dass es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine Normvariante handle, deren Problem nicht in den betroffenen Menschen selbst, sondern in der mangelnden Akzeptanz der Gesellschaft liege.
Abschließend wird vor diesem Hintergrund dargestellt, wie hoch problematisch sich die Biographie des im Mittelpunkt dieses Artikels stehenden Jungendlichen vor der Medikamentengabe entwickelt habe, dass er als "hoffnungsloser Fall" angesehen worden sei und wie sehr sich nach der Einnahme von Minocyclin seine Perspektive und die seiner Familie verändert habe.
http://www.latimes.com/health/la-he-fragile-x-20110501,0,7738702.story
Die einzige uns bekannte Zusammenstellung verschiedener Medikamente und Wirkstoffgruppen, die, je nach klinischem Bild, auch bei Fragilem-X zur Anwendung kommen können, ist der Medikamentenführer der Fragile X Research Foundation. Man muss indes betonen, dass es bislang keine Mediamente gegen das Fragile-X-Syndrom gibt. Die Verfasser des Mediamentenführers, auf den wir uns hier beziehen, weisen in ihrer Broschüre daher auch darauf hin, dass die von ihnen zusammengestellten Informationen in erster Linie der Autismusforschung entnommen sind. Gleichwohl ist es möglich, einzelnen Symptomen des Fragilen-X - deren Ausprägung bei verschiedenen Menschen durchaus sehr unterschiedlich sein kann - medikamentös entgegen zu wirken. Medikamente kommen in der Regel immer bei Anfallsleiden (Epilepsie) zum Einsatz, welche meist gut behandelbar sind. Darüber hinaus kann versucht werden, die variablen Erscheinungsformen des Fragilen-X-Syndroms durch die Gabe verschiedenener Wirkstoffe abzumildern. Zu diesen behandelbaren Symptomen gehören unter anderem:
Nicht nur weil diese Medikamente ohnehin verschreibungspflichtig sind, ist der Versuch einer entsprechenden Medikamentengabe im Einzelfall immer mit einem Kinderarzt oder Neuropädiater abzustimmen. Im Rahmen dieser Broschüre können wir selbstverständlich keine Arzneimittel-Empfehlungen aussprechen. Wir verweisen jedoch - möglicherweise als Vorinformation für ein Gespräch mit dem behandelnden Facharzt - auf die folgende Übersicht, die dem bereits erwähnten Medikamentenführer der amerikanischen Selbsthilfegruppe entnommen ist.
Die vollständige Version dieses Ratgebers mit detaillierten Angaben zu Indikationen, Wirkweisen, möglichen Nebenwirkungen und zur Dosierung des jeweiligen Medikamentes ist als PDF-Datei in unserem FORUM abrufbar.